2008 erklärte der Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien. Seitdem schwelt zwischen den beiden Ländern ein nicht enden wollender Konflikt, der sich immer wieder zuspitzt und dann wieder abflacht. 2023 erreichte er dann seinen Höhepunkt. Was bedeutet das für Fachkräfte aus dem jungen Land? Besonders für Personal aus der Pflege?
Dass zwischen Serbien und dem Kosovo ein Konflikt herrscht, ist bekannt. 2023 schien sich die Lage zuzuspitzen. Und dann wieder zu entspannen. Dennoch ist die Lage unsicher. Die Spannungen verunsichern Unternehmen. Investitionen in den Kosovo werden eher zögerlich unternommen. Allerdings erlebt der Kosovo dennoch einen kleinen Aufschwung. Im Land selbst verläuft die wirtschaftliche Entwicklung positiv. Das Bruttoinlandsprodukt wächst. Sollte sich der Konflikt mit Serbien nicht weiter verschärfen, wird die positive Entwicklung anhalten. So sehen das zumindest die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Nicht nur das Land selbst, sondern auch andere Länder investieren in den Kosovo.
Seit dem 01. Januar 2024 können kosovarische Staatsangehörige frei durch Länder der EU reisen. Und das ohne ein Visum zu benötigen. Das war zuvor Pflicht. Jetzt ist den Kosovarinnen und Kosovaren möglich, für maximal 90 Tage am Stück die EU zu bereisen. Und das in einem Zeitraum von 180 Tagen. Heißt: Es ist auch kein Problem, mehrmals im Jahr den Kosovo Richtung EU-Länder zu verlassen. Einzige Voraussetzung ist ein kosovarischer Reisepass.
Dieses neue Gesetz trägt wahrscheinlich zur wirtschaftlich positiven Entwicklung des Kosovo bei. Nicht zuletzt, da Deutschland und der Kosovo so näher zusammenrücken.
Für Pflegekräfte aus dem Kosovo bedeutet das: Die Einreise nach Deutschland - etwa im Rahmen eines Bewerbungsgesprächs - ist kein großes Hindernis mehr. Auf der anderen Seite stehen die Chancen nun auch im eigenen Land besser, eine Arbeitsstelle zu finden. Aktuell ist der Bedarf nach Pflegepersonal aber weiterhin in Deutschland deutlich größer.
Laut internationalem Währungsfonds wird sich das wirtschaftliche Wachstum im Kosovo weiter fortsetzen: Für 2024 erwartet die Institution ein Wirtschaftswachstum von 4,2 Prozent.
Allerdings sollte die Euphorie nicht allzu riesig sein. Noch ist der Dialog zwischen dem Kosovo und Serbien wenig erfolgversprechend. Das verlangsamt die Handelsbeziehungen und verhindert weitere Investitionen durch die EU. Auch wenn weiterhin Direktinvestitionen getätigt werden, bleibt die Lage unsicher. Wer also als Pflegefachkraft auf Nummer sicher gehen will, sollte ein EU-Land wie Deutschland oder die Schweiz als künftiges Arbeitgeberland in Erwägung ziehen.
Im Kosovo liegt das Durchschnittsalter derzeit bei rund 32 Jahren. Zum Vergleich: In Deutschland lag es im Jahr 2022 bei rund 45 Jahren. Der Kosovo ist also ein junges Land mit junger Bevölkerung. Einer jungen Bevölkerung, die oft eine Ausbildung genossen hat. Häufig auch in der Pflege. Diese Pflegefachkräfte werden im Kosovo allerdings nicht gebraucht. Im Land gibt es zehn Hochschulen, die Pflegerinnen und Pfleger ausbilden. Auf 3.000 Absolventen im Jahr kommen 150 freie Stellen. Insgesamt sind rund 20.000 Pflegekräfte im Kosovo auf der Suche nach Arbeit.
In Deutschland fehlt es an genau diesen Pflegekräften.2017 belief sich der Mangel laut Arbeitgeberverband Pflege auf 30.000. Die Gewerkschaft ver.di ging von 70.000 offenen Stellen in der Pflege aus. Der deutsche Pflegerat übertraf diese Zahlen noch und ging von einem Mangel von 100.000 Pflegekräften aus.
Aktuelle offizielle Zahlen zum Pflegekräfte-Mangel sind schwer zu finden. Doch Fakt ist, dass sich die Lage bezüglich des Pflegemangels in Deutschland nicht entspannt hat. Im Gegenteil: Er spitzt sich weiter zu. Da scheint es fast ironisch, dass im Kosovo viele Krankenschwestern und Pfleger keinen Job finden. Etwa 23 Prozent der Bevölkerung leben in Armut, 5 Prozent in extremer Armut. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 16 Prozent. Die Zahl wäre allerdings deutlich höher, würden nicht so viele junge Kosovarinnen und Kosovaren ins Ausland abwandern.
Tatsächlich sind es meist junge Leute - und hiervor allem Frauen - die im Kosovo arbeitslos sind. Junge Frauen machen dagegen in Deutschland den größten Teil ausgebildeter Pflegekräfte aus. Das ist nicht verwunderlich. Tendenziell entscheiden sich Frauen eher für einen sozialen Beruf, wie den der Pflegerin. Auf der anderen Seite ist die Arbeit in der Pflege so hart, dass sie nur bis zu einem gewissen Alter gemeistert werden kann. Die ausgebildeten kosovarischen Pflegekräfte sind für Deutschland also eine echte Chance. Und Deutschland eine Chance für sie.
Die Abwanderung von kosovarischen Pflegekräften nach Deutschland ist eine Chance - für Deutschland und die Fachkräfte. Allerdings sollte man auch dem Kosovo eine Chance geben und ihn nicht ausbluten lassen. Es gilt, Voraussetzungen zu schaffen, unter denen sich die jüngere Generation entscheidet, im Land zu bleiben. So sucht etwa die Caritas nach Wegen, junge Kosovarinnen und Kosovaren am Arbeitsmarkt zu vermitteln. Dazu wird unter anderem in Fachausbildungen und finanzielle Starthilfe für Jungunternehmerinnen und -unternehmer investiert.
Solange allerdings die Spannungen mit Serbien bestehen, wird auch das ökonomische Klima im Kosovo angespannt bleiben. Ausbildungs- und Arbeitsplätze im jungen Land können also nur dann mehr und mehr entstehen, wenn auch die historischen Spannungen abgebaut werden. Nicht nur in Bezug auf Serbien, sondern auch mit Blick auf Albanien. Das Problem des wirtschaftlichen Wachstums betrifft den gesamten Balkan. Zusammenarbeit zwischen den Balkanstaaten und gegenseitiger Respekt könnten hier wahre Wunder bewirken.